Die Diakonie Deutschland wirbt mit ihrer „Unerhört“ – Kampagne seit 2018 für eine offene Gesellschaft. Sie will wachrütteln und zur Plattform für einen Diskurs rund um soziale Teilhabe werden. In den Mittelpunkt gerückt wird dabei auch die Situation einsamer Mitmenschen.
Einsamkeit ist kein vereinzelter Zustand mehr. Sie ist zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem geworden, das sich in allen Altersgruppen und soziale Schichten der Bevölkerung epidemisch ausbreitet. Laut Einsamkeitsbarometer 2024 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fühlen sich rund ein Drittel der Deutschen (ca. 33%) zumindest teilweise einsam. Dies entspricht etwa 21 Millionen Menschen in unserem Land. Differenziert nach Altersgruppen leiden 46% (!) der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 30 Jahren an Einsamkeit sowie 34% der Erwachsenen zwischen 31 und 50 Jahren. Die Zahl einsamer älterer Menschen steigt mit zunehmendem Alter: von 22% bei den 60- bis 70-Jährigen auf 26% im Altersbereich von 70 bis 80 Jahren und schließlich auf 32% bei Menschen ab 80 Jahren.
Zum Anstieg der Einsamkeitsbelastung in der Gesellschaft insgesamt haben viele unterschiedliche Ursachen beigetragen, beispielsweise die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Während der Pandemie gab es strenge Kontaktbeschränkungen und Lockdowns, die zu sozialer Isolation geführt haben. Auch danach haben viele Menschen immer noch Probleme damit, wieder in den sozialen Rhythmus zu finden. Der Anstieg der Einsamkeit im höheren Alterwiederumhängt eng zusammen mit der Auflösung sozialer Bindungen infolge des Verlustes von Partnern, Verwandten, Freunden und Bekannten, einer zunehmenden Einschränkung der Mobilität sowie einem verstärkten Pflegebedarf der Betroffenen.
Die „Unerhört!“ – Kampagne der Diakonie Deutschland spielt auch bei „Unerhört! Diese Einsamen.“ mit der Mehrdeutigkeit des Adjektivs „unerhört“. Im Sinne von „nicht gehört werden“ wird zum Ausdruck gebracht, dass die Einsamkeit von Menschen oft überhaupt nicht wahrgenommen wird. Dies wiederum weist hin auf die Vernachlässigung, die einsame Menschen erfahren. „Unerhört!“ im Sinne von „ungehörig“ oder „schockierend“ vermittelt darüber hinaus die Empörung, dass die Gesellschaft die Einsamkeit von Menschen nur unzureichend ernstnimmt und deren existenziellen Probleme letztlich konsequenzlos übergeht. – Der Hashtag („#zuhören“) wiederum verbindet die zuvor genannten Bedeutungsebenen und ruft zu aktivem Zuhören und Handeln auf.
Einsamkeit zersetzt wie ein schleichendes Gift Stück für Stück die Freude am Leben. Sie bewirkt ein Versickern der Lebensmotivation und Lebenskraft. Die Seele leidet und damit auch der gesamt Organismus, denn Körper und Geist wirken zusammen. Einsamkeit verursacht und verstärkt Krankheiten, schwächt zugleich Heilungsprozesse. Einsamkeit ist eine Vorbotin des Sterbens, deshalb geht sie mit Angst umher. Besonders im modernen Bewusstsein fürchtet man den Tod weniger als früher aus Angst vor Bestrafung im Jenseits, sondern aus Angst vor einer unvorstellbaren Einsamkeit, in der man aller Verbindungen zur menschlichen und nichtmenschlichen Welt beraubt ist. Seit Beginn der Moderne und der damit verbundenen Urbanisierung, Mobilitätssteigerung, Individualisierung u.a. ist Einsamkeit zu einer ernsten gesellschaftlichen Herausforderung geworden, die aber nicht als unvermeidbar hingenommen werden muss.
Unter dem Motto „Gemeinschaft erleben – Einsamkeit überwinden“ will unser Projekt „zusammen.finden“ speziell auch hierzu nachhaltige Beiträge leisten, sei es durch Vorträge, Seminare, Workshops oder einzelne Aktionen für die breite Bevölkerung oder spezielle Altersgruppen. Wir wollen damit Begegnungs- und Austauschräume schaffen, in denen der einzelne Mensch sich als Teil der Gemeinschaft erleben und erfahren kann.
Hans-Peter Fink